Auch das Bewusstsein des Greises sucht sein Vergnügen an der Geisteskraft

Deutungen2

Deutung

#1
Der Satz lässt sich als verdichtete Alterspsychologie lesen: Wenn körperliche Vitalität und äußere Handlungsmacht abnehmen, verlagert sich das Lustzentrum des Selbst zunehmend in Sphären der Sinngebung und kognitiven Meisterschaft. Triebenergie wird sublimiert in Denken, Ordnen, Verstehen; aus der Fähigkeit, Erfahrungen zu integrieren und dem eigenen Leben Kohärenz zu geben, entsteht Vergnügen. Entwicklungspsychologisch entspricht das der Bewegung zu Integrität statt Verzweiflung (Erikson), der Aufwertung kristalliner gegenüber fluider Intelligenz sowie dem Fokus auf Bedeutsamkeit und Gegenwartsnähe (sozioemotionale Selektivität). “Geisteskraft” meint hier nicht bloß Scharfsinn, sondern die Erfahrung von Wirksamkeit im Medium des Wortes, der Erinnerung, der Urteilskraft – kurz: die Quelle von Würde und Autonomie im Alter. Ambivalent bleibt, dass dieses Vergnügen sowohl Reife als auch Abwehr sein kann. Als reife Form bedeutet es Weisheit: spielerische Neugier, ironische Distanz zum eigenen Ego, mitfühlendes Urteil. Als Abwehr kann es zur Intellektualisierung werden – ein Überinvestieren in Kontrolle und Dogma, um Verletzbarkeit und Endlichkeit zu bannen (der “Senex”, der sich in Prinzipien verhärtet). Die Gnome hält so beides zusammen: eine nüchterne Beobachtung der Motivverschiebung im Alter und eine leise Empfehlung, den Geist rechtzeitig zu kultivieren, damit er später nicht zur Festung, sondern zum bewohnbaren Garten wird.

Deutung

#2
Die Sentenz legt nahe: Mit dem Nachlassen leiblicher Kräfte verlagert sich das Feld des Genusses nicht ins Nichts, sondern in die Sphäre des Geistes. Das „Auch“ betont Kontinuität über die Lebensalter hinweg; nicht nur der Jüngling, auch der Greis bleibt ein begehrendes Wesen. „Geisteskraft“ meint dabei nicht bloß kalte Klugheit, sondern die lebendige Tätigkeit des Sinnens, Urteilens und Erinnerns. In ihr findet das alternde Bewusstsein eine Würdeform des Vergnügens: nicht der Rausch des Neuen, sondern die Freude an Klarheit, Zusammenhang und geistiger Selbstwirksamkeit. So spricht die Gnome eine kleine Anthropologie aus: Lust ist wandelbar, und ihre Veredelung in Richtung des Geistigen ist keine Verzichtsrhetorik, sondern eine andere Tonart derselben menschlichen Musik. Gerontologisch betrachtet liest sich das als prägnante Beschreibung bekannter Verschiebungen: von Expansions- zu Sinnzielen (sozioemotionale Selektivität), von Schnelligkeit zu Tiefgang (Fluides nimmt ab, Kristallines gewinnt an Gewicht), von äußerem Zugriff zu selektiver Optimierung und Kompensation. Der Satz enthält zugleich eine Aufgabe: Gesellschaftlich müssen Räume geschaffen werden, in denen diese „Geisteskraft“ als Quelle des Vergnügens gepflegt werden kann – durch Dialog, Muße, Bildung, Erzählen, Mentorschaft. Und individuell warnt er vor zweierlei Karikatur: weder soll der Geist zur starren Bastion werden, die Verlust leugnet, noch zum asketischen Ersatz. Gemeint ist die positive Lust an Verständigung, Urteil und Sinn – eine Altersfreude, die nicht kleiner, sondern anders ist.